Halberstadt [Malachit AG]

KZ-Außenkommando Halberstadt, Junkers/Malachit AG

Spätestens Anfang April 1944 dürfte der Jägerstab die Entscheidung gefällt haben, neben dem Mittelwerk und dem „Ausbau Mitte“ (Projekt Anhydrit/Bauvorhaben B 3) eine weitere „Junkers-Fertigungszelle“ im Harz, und zwar im Umkreis von Halberstadt, anzusiedeln. Dieses neue Projekt hatte mit den Verlagerungsbestrebungen des Konzerns, sein Halberstädter Tragflächenwerk in verschiedenen Buntsandsteinhöhlen unterzubringen (Vorhaben Makrele I und II), nichts zu tun. Vielmehr herrschte eine Art aussichtsloser Verlagerungswahn der letzten Stunde, aus dem heraus dem Dessauer Konzern weiterer unterirdischer Produktionsraum geschaffen werden sollte. Die Wahl fiel auf den Thekenberg, in dessen Halberstadt abgewandter Seite beim Ort Langenstein Stollen mit 75.000 bis 80.000 qm Fläche ausgebrochen werden und im Februar 1945 mindestens 40.000 qm nutzbar sein sollten.2683 Geplant war, auf Maschinen des aus Zittau („Zittwerke AG“) verlagerten Motorenbaus monatlich bis zu 1.000 Triebwerke für Hochleistungsflugzeuge und Jäger herzustellen. Dieses Junkers-Bauvorhaben Malachit war dem SS-Führungsstab B 2 mit Sitz in Halberstadt-Spiegelsberge zugeordnet. Die Pläne waren offenbar im Mai 1944 erstellt, denn noch im selben Monat begann der Stollenausbruch. Hauptauftragnehmerin war die in Ringelheim/Harz niedergelassene Erzbergbau Salzgitter GmbH der Reichswerke Hermann Göring. Sie beauftragte zahllose Subunternehmen: die Anton Baumhör GmbH, Köthen, die Grün & Bilfinger AG, Halle,die Arge Uhlhorn, Halberstadt, sowie die Arge Schmidt und Walter, Magdeburg.

Nur Wochen nach Abschluss der Projektentwicklung versuchte das Pendant zum Jägerstab, der von Edmund Geilenberg geleitete Sonderstab zur Sicherung der Mineralölproduktion, die Anlage an sich zu bringen. Er teilte am 26. Juli 1944 dem Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion seine Absicht mit, im Thekenberg eine Dehydrieranlage mit angeschlossener Treibstoffraffinerie einzurichten. Auch den Decknamen „Schwalbe II“ habe man schon. Aus 34.000 t Braunkohlen-Schwelteer und 6.000 t Schwerbenzin aus Erdöl sollten monatlich 8.000 t Hochleistungsflugbenzin und 20.000 t anderer Treibstoff destilliert werden. Als Fertigstellungstermin habe man den August 1945 vorgesehen. In dem Schreiben pokerte Geilenberg gegenüber Speer, er habe die Planungen schon angeordnet und mit dem Bau des Objektes beginnen lassen. Damit nicht genug, wollte Geilenberg im Thekenberg eine Crack-Anlage aufstellen; dieses Werk „Taube II“ sollte ab April 1945 monatlich 20.000 t Rückstände aus „Ofen-Destillationsanlagen“ zu 6.000 t Autobenzin, 4.000 t Dieselöl und 7.000 t Elektrodenkoks veredeln. Aber diese Destillationsanlagen wären im Raum Hannover und in Sachsen erst noch zu errichten gewesen. Obwohl diese Neuvergabe mit Speer vorab besprochen war, setzte der Jägerstab letztendlich die ursprüngliche Zuweisung an den Flugzeugkonzern durch.

Auf der Baustelle im Thekenberg waren überwiegend KZ-Häftlinge eingesetzt, für die die SS das eigenständige, Buchenwald zugeordnete Außenkommando Langenstein-Zwieberge gründete. Die ersten 18 Zwangsarbeiter erreichten Langenstein am 21. April 1944; unter ihnen der künftige Lagerälteste Hans Neupert und der Lagerarzt Dr. Raine. Sie wurden erst einmal am Fuße des Thekenberges in einem Wirtschaftsgebäude der Gaststätte „Landhaus am Gläsernen Mönch“ untergebracht, die das Quartiersamt der Stadt Halberstadt beschlagnahmte. Die erste Aufgabe dieses Vorkommandos war, das Lager für die zukünftigen Insassen herzurichten. Auch ein zweiter, sechs Tage später eintreffender Schub von 200 Gefangenen aus dem KZ Neuengamme erhielt eine provisorische Unterkunft in einer Scheune „Am kleinen Holz“, dem östlichen Dorfausgang von Langenstein. In kurzen Abständen kamen weitere Häftlingstransporte, so dass nach nur drei Monaten am 19. Juli 1944 das „Landhaus“ mit 383 und die „Feldscheune“ mit 922 KZ-Gefangenen belegt waren. Am 8. August 1944 leitete Buchenwald 400 aus dem Lager Salaspils bei Riga eingetroffene Häftlinge nach Langenstein weiter. Die unerträgliche Enge in beiden Lagern wurde mehr denn je zu einem Martyrium. Die KZ-Häftlinge beider Behelfslager mussten während der ersten Wochen in einer Waldsenke etwa drei Kilometer östlich von Langenstein, sechs Kilometer von Halberstadt entfernt, die Baracken des Außenkommandos „Langenstein-Zwieberge“ errichten.

Im Mai 1944 wurden die Stollenarbeiten aufgenommen, die Qualen des Stollenausbaus unter Tage begannen. Immer mehr der vom Lagerdasein gezeichneten KZ-Zwangsarbeiter wurden zu Schwerstarbeit im Dreischichtbetrieb auf den Baustellen im und um den Thekenberg einbezogen. Das neue Barackenlager wurde, obwohl die 26 Häftlingsbaracken erst im Rohbau standen, am 1. Juli 1944 für vollendet erklärt, Mitte Juli mit den Häftlingen aus der Feldscheune belegt; die aus dem „Landhaus“ folgten Anfang September. In den folgenden Wochen und Monaten wurden immer mehr Häftlinge aus Buchenwald, Sachsenhausen und anderen Konzentrationslagern nach Langenstein-Zwieberge dirigiert, um den Arbeitskräftehunger der Baufirmen und des „SS-Führungsstabes B 2“ zu stillen. Am 2. Januar 1945 betrug die Belegung des für 2.000 Gefangene ausgelegten KZ-Außenkommandos 3.628, darunter auch 19 russische Kriegsgefangene. Am 14. Februar 1945 zählte das Kommando Malachit 4.437 Insassen, die vorwiegend im Stollenbau eingesetzt waren. Der SS-Führungsstab hatte die KZ-Häftlinge in bis zu 140 Kommandos eingeteilt, Gruppen von 10 bis zu 200 Personen, die unterschiedlichen Firmen und Einzelbaustellen zugewiesen wurden. Allein 100 Kommandos verrichteten Zwangsarbeit im Bereich des Nordstollens, in drei Schichten zu je acht Stunden. Die Sterblichkeitsrate war immens. In den nur zehn Wochen von November 1944 bis zum 6. Januar 1945 starben von 820 in das Krankenrevier eingewiesenen KZ-Arbeitern 165.

Der französische Häftling Paul Le Goupil nennt in seinen Erinnerungen für den Zeitraum bis zum 3. April 1945 eine Zahl von 1.629 Opfern der Strapazen im Lager Langenstein-Zwieberge. Bis zum 17. April 1945 weist das Totenregister des Außenkommandos 1.802 Opfer aus. Tatsächlich dürften es aber erheblich mehr gewesen sein, denn in den letzten zehnTagen wurden nur noch die Toten des Krankenreviers erfasst. Um im Fall der Produktionsaufnahme ausreichend Fachkräfte zur Hand zu haben, ließ Junkers Anfang 1945 auf eigene Kosten, nördlich des Appellplatzes drei Baracken zur separaten Unterkunft seiner „Spezialisten“ aufstellen. Dieses sogenannte „Kleine Lager“ erhielt den Decknamen Malachit AG, unter dem es auch in den Buchenwalder Bestandslisten erscheint. Ein erster Transport 194 angelernter Zwangsarbeiter wurde am 12. Januar 1945 aus dem Junkers-Außenkommando Aschersleben nach Langenstein-Zwieberge in das neue Außenkommando verlegt.

Zwei Tage darauf bestätigte das Arbeitslager Aschersleben Vollzug der Überstellung von 194 Häftlingen dorthin; von den ursprünglich vorgesehenen 200 waren zwei inzwischen verstorben, vier weitere wegen Krankheit nicht transportfähig. Noch am gleichen Tag übermittelte das Kommando B 2 erstmals Einsatzzahlen des neu in die Buchenwalder Registratur aufgenommenen Außenkommandos Malachit AG. Nach Ermittlungen des Internationalen Suchdienstes Arolsen traf am 19. Januar 1945 ein weiterer Transport mit 50 spezialisierten KZ-Arbeitern des Junkers-Außenkommandos Niederorschel ein. Am 14. Februar 1944 zählte das Kommando Malachit AG 494 Insassen.2700 Am 19. Februar 1945 erhöhten nochmals 135 Häftlinge aus Niederorschel die Belegungszahl des separaten ‚Lagers im Lager‘. Dabei handelte es sich hauptsächlich um arbeitsunfähige Kranke; 23 von ihnen starben unmittelbar nach ihrer Ankunft. Am 22. Februar 1945 verstärkten 250 Häftlinge aus dem Halberstädter Junkers-Tragflächenwerk das Kommando, das Anfang März 627 und Ende des Monats 835 KZ-Arbeiter in seinen Bestandslisten auswies. Da die Produktionsmaschinen noch nicht standen, setzte Junkers die Häftlinge ebenfalls beim Stollenausbau im Thekenberg ein. Anfang Februar 1945 hatte Junkers mit der Aufstellung der aus Zittau antransportierten Maschinen in einigen Hallen begonnen. Das erledigten ausländische Zwangsarbeiter, die in den „Zittwerken“ tätig gewesen waren. In zwei Transporten Anfang Februar und am 27. März trafen sie in Halberstadt ein und wurden auf dem Fliegerhorst untergebracht.

Obwohl Junkers bereits seine Maschinen aufbaute, kam plötzlich Mitte Februar 1945 eine Diskussion auf, Teile der verfügbaren Fläche an andere Rüstungsfirmen zu vergeben. Am 22. Februar 1945 teilte der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion der Rüstungsinspektion Magdeburg mit, man habe „auf Veranlassung des Rüstungsstabes (…) für die Firma BMW, Berlin-Spandau (Tl-Gerät, Großteilefertigung) das Objekt Malachit mit 6.000 qm und später weiteren 3.000 qm“ gesperrt, das Objekt sei mit Junkers zu teilen. Diese Entscheidung dürfte bei Junkers auf erheblichen Widerstand gestoßen sein und entsprechende Interventionen ausgelöst haben, hatte man doch die gesamte Fläche für sich verplant. Am 7. März 1945 hob der Rüstungsstab dann die für BMW verhängte Sperre wieder auf. Das zuständige Oberbergamt Clausthal-Zellerfeld wurde am 16. März 1945 gleich mit zwei Schreiben vom „neuen“ alten Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Damit war der Weg für die Dessauer frei, und der Einbau der Produktionsmaschinen konnte im ursprünglich geplanten Umfang fortgeführt werden. Bei Kriegsende waren rund 67.000 qm der Stollenanlage, schätzungsweise 90 %, im Rohbau fertig. Etwas mehr als 20.000 qm standen bezugsfertig zur Verfügung, und Junkers hatte sie teilweise belegt. Von den vorgesehenen 3.000 Maschinen waren etwa 500 aufgestellt; in Betrieb gingen nur noch wenige. Nur die Herstellung von Kompressoren soll Junkers probeweise noch Anfang April 1945 aufgenommen haben.

Am Morgen des 9. April 1945 ordnete der Lagerkommandant die Räumung des Außenkommandos Langenstein-Zwieberge an. Zu dem Zeitpunkt befanden sich rund 4.900 Häftlinge im Lager, etwa 500 von ihnen im Krankenrevier. 1.200 weitere waren nicht marschfähig, hatten einen ‚Schonschein‘, mit dem sie im Lager verblieben; am 13. April 1945 wurden sie von amerikanischen Truppen befreit. Die 3.000 Marschfähigen verteilte die SS auf sechs Gruppen zu je 500 KZ-Häftlingen, die auf unterschiedlichen Routen davon geführt wurden. Bis zum Abend des 9. April hatten sie das Lager verlassen. Für die erste Kolonne mit vielen Häftlingen des junkerseigenen Lagers endete der Evakuierungsmarsch am 21. April 1945 in Griebo nahe Wittenberg. Weitere Gruppen kamen bis Buro und Zieco bei Coswig; der genaue Weg ist nicht lückenlos dokumentiert. Zahlreiche ausgemergelte und entkräftete Häftlinge waren den Strapazen des Marsches nicht gewachsen; Dutzende von Tote säumten den Weg. Die in der Literatur genannte Zahl von 500 Überlebenden dürfte allerdings bei weitem zu gering angesetzt sein. Die russische Besatzungsmacht ging nach Übernahme der Stollenanlage unverzüglich daran, die Produktionsmaschinen systematisch zu erfassen und so zur Demontage vorzubereiten. Anscheinend vernichtete Junkers vor der Ankunft der Alliierten sämtliche Betriebsunterlagen, auf die hätte zurückgegriffen werden können. Der Halberstädter Oberbürgermeister erklärte auf offizielle Nachfrage am 8. Januar 1946 der Militärbehörde, unter dem Namen Malachitwerke AG sei die Verlagerung des Motorenbaues aus Zittau geplant gewesen, Dokumente seien aber nicht mehr vorhanden.

Den akribisch aufgestellten Inventarlisten ist zu entnehmen, dass die Sowjetarmee weit über acht Tonnen Gerätschaften aus dem Stollen abtransportierte, darunter 418 metallverarbeitende und 46 spanlos verformende Maschinen, 140 Elektromotoren sowie 28 Schweißgeräte. Ursprünglich hatte die SMAD beabsichtigt, die Stollenanlage Malachit wie die meisten anderen Untertageanlagen ihrer Besatzungszone zu sprengen. Allerdings zögerten die Verantwortlichen in Moskau die Sprengung des Thekenberges immer wieder hinaus. Am 15. Januar 1949 ging bei dem für ökonomische Fragen zuständigen Stellvertreter des Obersten Chef der SMAD ein Schreiben des stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Volkskongresses Luitpold Steidle ein, in dem er bat, aus ökologischen Gründen von einer Sprengung endgültig abzusehen. Beigefügt war das Schreiben des Halberstädter Kreiskomitees des Deutschen Volkskongresses mit einer gleichlautenden Resolution: „Die von dem Naziregime 1944 als Produktionsstätte von Flugzeugteilen gebauten Höhlen im Stadtwald von Halberstadt (Thekenberg) sind zur Sprengung vorbereitet worden. Das Höhlensystem ist gitterförmig angelegt. Die Länge der Höhlen beträgt im Durchschnitt 12,5 km, sie befinden sich alle unter einer dichten Waldfläche von ungefähr 140 Hektar. Der Sprengungsplan sieht eine völlige Zerstörung der Höhlen mit großen Sprengladungen vor, die zu einer Vernichtung der unter Naturschutz stehenden Waldfläche Thekenberg führen und sie in einen riesigen Krater verwandeln würde“.

Diese Intervention hatte zumindest teilweise Erfolg. Die Militärs entschieden sich für eine „abgemilderte Sprengung“ mit etwa mehr als 92 t Sprengstoff statt der ursprünglich vorgesehenen 828 t. Nur einige Bereiche der Anlage wurden dadurch zerstört. 1976 übernahm die Nationale Volksarmee die Liegenschaft und erschloss das unterirdische Stollensystem für militärische Zwecke neu. 1977 wurde mit Vermessungsarbeiten begonnen. Der Auf- und Ausbau zum „Komplexlager 12“ nahm erheblich mehr Zeit in Anspruch als vorgesehen, zum einen wegen finanzieller Engpässe, zum anderen, weil sich Bereiche der Anlage aus NS-Zeiten nach der Sprengung als unwiderruflich zerstört herausstellten. Der Ausbau war Ende April 1984 beendet. Im Objekt „603“, auf einer Fläche von etwa 40.000 qm nutzbar, eröffnete die NVA am 1. Mai 1984 ein Depot für Bekleidung und Munition. Nach der Wende ging die Anlage in das Eigentum der Bundeswehr über, die damit eine Altlast von etwa 20.000 Tonnen Munition erbte; am 30. September 1995 gab sie das nutzlos gewordene Objekt auf. 1991/1992 hatte die Bundesregierung dort noch das komplette DDR Papiergeld, auch die nicht mehr in Verkehr gebrachten 200- und 500-Mark-Scheine, in einem seit Kriegsende ungenutzten und militärisch unerschlossenen Bereich eingelagert. Unter einer Kiesüberdeckung sollte die Verrottung durch natürliche Feuchtigkeit abgewartet werden. Dies schlug jedoch fehl, denn das Geld war schwer mit Dioxinen belastet. Nachdem es Jugendlichen 1999 gelang, in die Stollen einzudringen, Scheine zu bergen und zum Kauf anzubieten, entschied sich die Kreditanstalt für Wiederaufbau für eine Verbrennung als Müll. Insgesamt waren 300 Waggons mit Geld abzutransportieren.

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