Kleinbodungen

Heeresmunitionsanstalt Kleinbodungen

Im Mai 1906 erteilte der Minister für Handel und Gewerbe die Genehmigung zum Ankauf von Grundstücken für die projektierte Schachtanlage bei Kleinbodungen. Die Verhandlungen führte die Berginspektion Bleicherode, die gleichzeitig für die Verwaltung der späteren Salzbergwerke Kleinbodungen I und II in Kleinbodungen zuständig war. 1912 begannen die Abteufarbeiten des südlich von Kleinbodungen gelegenen Schachtes. Die Arbeiten waren bereits Anfang des Jahres 1913 beendet. Noch im selben Jahr der Fertigstellung begannen die Abteufarbeiten des zweiten Schachtes von Kleinbodungen, der später zusammen mit dem Hauptschacht durch einen Querschlag an die Schächte von Bleicherode angebunden wurde. Im Juli 1927 unterrichtete das Kaliwerk Bleicherode das zuständige Bergrevier Nordhausen-Stolberg von der beabsichtigten Stilllegung der Schächte von Kleinbodungen, die die Preussag als Eigentümerin wegen der ungünstigen Wirtschafts- und Absatzlage am 6. August 1927 in die Tat umsetzte. Nur 60 der insgesamt hundert Mann starken Belegschaft fanden eine Weiterbeschäftigung im benachbarten Kaliwerk Bleicherode. Mitte 1930 nahm die Preussag den Betrieb mit verringerter Förderleistung wieder auf, doch war dies nur von kurzer Dauer. Bereits 1932 beschwerte sich der Betriebsrat beim Minister für Handel und Gewerbe über die erneut drohende Stilllegung und Entlassung der 137 Bergarbeiter. Die Preussag stellte den Betrieb ihrer beiden Schächte bei Kleinbodungen zum 1. September 1932 endgültig ein.

Die beiden brachliegenden Kalischächte gerieten schnell in den Fokus der Militärs, die ihren Anspruch anmeldeten und Mitte Januar 1934 mit dem Ausbau der unterirdischen Grubenbaue zu einem unterirdischen Munitionsdepot begannen; damit fanden bis zu 40 Arbeiter der ehemaligen Kalibelegschaft wieder Beschäftigung. Die Arbeiten gingen zügig voran, so dass das Heer Ende Oktober 1934 erstmals Munitionsbestände einbringen konnte. Der Nutzungsvertrag hingegen gelangte erst rückwirkend am 18. bzw. 19. Oktober 1940 zur Unterzeichnung. Das Heer lagerte in Kleinbodungen ausschließlich Munitionsteile, Zündhütchen, Sprengstoff und Pulver für den laufenden Bedarf ein. Ein Munitionsarbeitsgebiet, wie in anderen Heeresmunitionsanstalten der Region üblich, gab es nicht, so dass die Heeresnebenmuntionsanstalt Kleinbodungen keine Munition herstellte, die direkt an die Front ging. Die Bestände an Pulver und Sprengstoff lagerte das Heer aus Sicherheitsgründen überwiegend unter Tage, wohingegen die Muna andere Munitionsbestände auch in den oberirdischen Grubengebäuden und den Lagerschuppen des stillgelegten Kaliwerkes verwahrte. Eine Aufstellung über vorhandene und im Bau befindliche Munitionsanstalten vom 24. November 1938 belegt, dass Kleinbodungen zu diesem Zeitpunkt vollständig belegt war. Allerdings war der Bedarf des Heeres an unterirdischen Lagerraum damit noch immer nicht gestillt, so dass das zuständige Feldzeugkommando 1939 beim Bergrevier in Eisleben den Antrag auf Errichtung von weiteren 72 Lagerräumen stellte. Dies machte ein Versetzen der Abbaue eins bis acht und eine Auffahrung in Ausrichtungsstrecke Nord erforderlich. 1943 lagerten in den Schächten Kleinbodungen I und II 6.400 t Pulver und 400 t Sprengstoff, darunter teilweise völlig veraltete Sorten, die die unterirdischen Räume „verstopften“. Um Platz zu schaffen, gab Kleinbodungen 1943 etwa 3.500 t an die Heeresmunitionsanstalten Berka/Werra, Neuhof-Ellers, Volpriehausen und Hänigsen ab.

Am 13. Juni 1944 ereignete sich gegen 14.00 Uhr an der Verladerampe eine Explosion. Beim Absetzen eines Kartons detonierten 1.000 Zündhütchen. Ein Arbeiter wurde aus dem Waggon geschleudert: er verlor dabei sein rechtes Auge und brach sich zudem einen Arm. Er kam in die Augenklinik Göttingen und verstarb dort noch am selben Tag. Ein Offizier der technischen Oberinspektion und acht Unteroffiziere leiteten die Heeresnebenmunitionsanstalt. Ihnen unterstanden etwa 125 Männer und 20 Frauen, die vorwiegend aus der Region Nordhausen kamen. Für den Zeitraum April bis September 1942 ist die Beschäftigung von zehn französischen Kriegsgefangenen dokumentiert. Im Oktober 1942 traten 13 belgische Kriegsgefangene, die in zwei Holzbaracken in der Nähe des Pförtnergebäudes Unterkunft fanden, an ihre Stelle. Die Muna-Leitung rekrutierte sie vorwiegend zum Be- und Entladen von Zügen. Im April 1943 ersetzte die Muna-Leitung die Belgier durch 40 französische Zwangsarbeiter. Der Tätigkeitsbericht der Heeresnebenmunitionsanstalt für das zweite Quartal 1943 führt aus: „Die französischen Fremdarbeiter, meistens 20 bis 25jährig, waren zum größten Teil die schweren Ein- und Ausladearbeiten nicht gewohnt, doch gewöhnten sie sich daran und erfüllten nach einiger Zeit ihre Aufgaben willig“.

Am 14. Januar 1944 fand bei der Mittelwerk GmbH eine Besprechung über die Errichtung eines Reparaturwerkes für beschädigte A4-Raketen statt. Albin Sawatzki, Planungsdirektor der Mittelwerk GmbH, führte aus, „dass die Errichtung dieses Werkes im Mittelwerk selbst, wie es geplant war, nicht durchführbar sei, da das Einfädeln von Reparaturgeräten in den Fertigungsfluss zu dauernden Störungen in der Fertigung führen würde“. Die Demag-Fahrzeugwerke mögen prüfen, ob sie die Reparaturen in Berlin-Falkensee durchführen könnten, aber die verneinten. So entschied die Mittelwerk GmbH, in den oberirdischen Grubengebäuden der Preussag in Kleinbodungen ein eigenes Reparaturwerk einzurichten. Der Pachtvertrag der Preussag mit der Heeresnebenmunitionsanstalt Kleinbodungen über die Nutzung der Anlagen lief zum 1. Oktober 1944 aus. Die Muna begann Ende Juni 1944, ihre Munitionsbestände aus den oberirdischen Lagerhäusern zu entfernen. Die Arbeiten erledigten bis zu 60 KZ-Häftlinge des Lagers Ellrich in der Zeit vom 26. Juni 1944 bis Ende September 1944. Täglich wurden sie in Lkws nach Kleinbodungen gefahren, um Sprengstoff und Geschosse in Waggons der Reichsbahn zu verladen. Die SS-Bewachungsmannschaft, ein Stabsfeldwebel, drei Unteroffiziere und zehn Mann, stellte die Heeres-Abnahmebeschussstelle Altengrabow. Das Wachkommando war in einer Baracke auf dem Gelände des ehemaligen Kaliwerks untergebracht. Anfang August 1944 begann die Mittelwerk GmbH mit dem Umbau der Lagerhallen für die Raketenreparaturen. Diese Arbeiten führten wiederum 100 bis 140 Ellrich-Häftlinge durch. In den fertig gestellten Hallen richtete zunächst die Feldwerkstatt Kunz für etwa drei Monate Werkstätten ein.

Am 23. August 1944 bat die Heeresleitung „um endgültige Mitteilung, wann Kleinbodungen zur Aufnahme reparaturbedürftiger und zur Ausschlachtung kommender Geräte klar ist“. Eine handschriftliche Notiz Sawatzkis belegt, dass er die Aufnahme fehlerhafter Geräte für den 7. September 1944 zusagte. Die Mittelwerk GmbH begann allerdings erst Anfang Oktober 1944 mit der Reparatur defekter A4-Raketen. Das benötigte Material wurde in weiteren Grubengebäuden vorgehalten, deren Platz aber nicht ausreichte. So lagerten verschiedene Ersatzteile unter Planen im Freien. Weitere Materiallager mit A4-Komponenten befanden sich in Keula und auf dem Gelände der Heeresmunitionsanstalt Obergebra. Die Reparaturarbeiten führten KZ-Häftlinge durch, von denen einige schon in Friedrichshafen Raketenteile hergestellt hatten. Ende September 1944 verlegte die SS etwa 760 Insassen des KZ Dachau nach Dora, 627 von ihnen gleich weiter nach Kleinbodungen, wo sie „V-Geschosse zerlegen und Material aussortieren“ mussten. Diese Zuweisung dürfte Mitte Oktober 1944 stattgefunden haben, nachdem das Reparaturwerk unter dem Tarnnamen „Emmi“ am 2. Oktober 1944 den Status eines eigenständigen Dora-Außenkommandos erhielt. Schon am 29. Oktober 1944 schickte es 115 Häftlinge zurück in das Hauptlager, so dass in Kleinbodungen noch 512 KZ-Häftlinge Raketen recycelten. Vom 21. Dezember 1944 bis 20. Januar 1945 zählte das Außenkommando Emmi allerdings 653 KZ-Häftlinge. Die SS räumte das Außenlager am 5. April 1945. Zur Geschichte des KZ-Außenkommandos finden Sie weitere Informationen auf der Sonderseite zu diesem Thema.

Am 10. April 1945 besetzte eine amerikanische Sondereinheit die Schachtanlage und transportierte bis zum Einmarsch der Sojwets am 3. Juli 1945 die dort verwahrten A4-Raketenteile, Segmente und Planungsunterlagen ab. Obwohl die Amerikaner alle wesentlichen Raketenteile abtransportierten, richteten die Sowjets in den Hallen des ehemaligen Reparaturwerkes eine Außenstelle des sogenannten „Zentralwerkes“ ein. Ziel war es, die Rakete in Deutschland nachzubauen und für den Transport in die Sowjetunion vorzubereiten, was schließlich am 21. Oktober 1946 geschah. Ungestört davon gingen den Räumungsarbeiten der Schächte, die noch immer mit Sprengstoff und Munition belegt waren, unter der Kontrolle der SMAD voran. Die Bergungsarbeiten verrichteten deutsche Arbeitskräfte unter Aufsicht sowjetischer Soldaten. Bis August 1948 mussten sie die geräumte Munition, Sprengstoffe und Zündhütchen auf offenen Lastwagen in ein Waldgebiet um den Himbeerberg transportieren und dort auf zwei eingerichteten Sprengplätzen vernichten. Diese Arbeiten führten sie aber nur unvollständig aus, so dass Munitionsreste verblieben, die nach Abzug der Sowjets vom Munitionsbergungsdienst Straußberg geräumt wurden. Dabei detonierte am 24. Juli 1953 ein Zündhütchen und eine Arbeiterin zog sich Verletzungen am Arm zu.

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