Bad Gandersheim [Bruns Apparatebau GmbH, Verlagerungsbetrieb der Heinkel-Werke]

Bad Gandersheim, Außenkommando der Heinkel-Werke

Die Werkzeugfabrik Carl Bruns erhielt 1943 den Auftrag, als einer von mehreren Unterlieferanten Tragflächen für den Focke-Wulf-Nachtjäger TA 154 herzustellen. Da die Kapazitäten im Stammwerk Kreiensen nicht ausreichten, sollte auf Werkhallen in Bad Gandersheim ausgewichen werden, aber die waren erst im Bau. Arbeitskräftemangel verzögerte die Fertigstellung bis ins erste Quartal 1944 hinein. Zudem wurden die Maschinen entweder gar nicht oder nur unvollständig geliefert, so dass erst ab April 1944 auf einer Teilfläche von 40.000 qm mit der Herstellung von Flugzeugteilen begonnen werden konnte. Der gesamte Industriekomplex befand sich zu dem Zeitpunkt noch im Rohbau.

Wenige Wochen nach der Produktionsaufnahme stoppte das RLM den Serienbau nach dem Absturz von zwei dieser Holzflugzeuge. In die damit freien Räumlichkeiten der Firma Bruns mietete sich die Ernst Heinkel AG mit ihrem aus Mielec im Generalgouvernement rückverlagerten Flugzeugwerk ein. Arbeitskräfte besorgte der Rüstungskonzern sich im nächstgelegenen KZ. Im Oktober 1944 richtete er ein werkseigenes Buchenwalder „Außenkommando Brunshausen, Apparatebau, Werk A“ ein.

Am 2. Oktober 1944 traf aus Buchenwald der erste Transport mit 200 Häftlingen ein, unter ihnen der Franzose Robert Antelme, der seine Erinnerungen an Brunshausen nach Kriegsende zu einem erschütternden Bericht zusammengefasst hat. Das Buch ist eine der wichtigsten und bewegendsten Quellen zur Geschichte des Lagers. Am 18. November 1944 folgten weitere 331 Häftlinge aus Dachau und abermals 50 am 19. Dezember 1944 aus Sachsenhausen.

Im November hatte Heinkel 84.053,90 RM für seine Gandersheimer KZ-Zwangsarbeiter nach Buchenwald zu entrichten, im Folgemonat 76.378 RM. Die meisten Insassen zählte das Außenkommando Brunshausen Mitte November mit 584 Personen. Anfang 1945 war die Zahl durch Rückführungen nach Buchenwald geringfügig auf 548 gesunken. Am 10. Januar überstellte die Lagerleitung erneut zehn erkrankte KZ-Zwangsarbeiter ins Revier nach Buchenwald, fast das sichere Todesurteil.

Durchschnittlich hatten 520 bis 550 Häftlinge aus 14 Nationen in Bad Gandersheim Flugzeugrümpfe für den Nachtjäger He 219 zu produzieren. In den ersten vier Monaten diente die spätromanische Kirche des 1803 aufgelösten Klosters Brunshausen als KZ-Außenlager.

In dem seit 1810 nicht mehr zu religiösen Zwecken genutzten, verwahrlosten Gebäude herrschten katastrophale Bedingungen. Die Häftlinge hausten im Kirchenschiff auf ausgelegten Strohsäcken. Mitten im Winter, bei klirrender Kälte bestand keine Möglichkeit, die Massenunterkunft zu beheizen.

Im Januar 1945 wurden die KZ-Arbeiter in einem eigens errichteten Barackenlager in der Nähe des Werks untergebracht, aber auch das brachte keine wesentliche Besserung, denn die neuen Quartiere waren völlig überfüllt und bald verlaust. Vermutlich war das ein Grund für den fortbestehend hohen Krankenstand.

Am 1. Februar 1945 meldete der Kommandoführer nach Buchenwald, von den 532 Häftlingen des Außenkommandos könnten 65 wegen Krankheit und Schonung nicht eingesetzt werden.984 Im Januar 1945 starben in Bad Gandersheim fünf Gefangene, drei Franzosen, ein Belgier und ein Italiener. Weitere 14 wurden wegen allgemeiner Entkräftung, Lues, Verdacht auf TBC oder anderen „Lagererkrankungen“ nach Buchenwald zurückgeschickt. Im gesamten Zeitraum vom Dezember 1944 bis Ende März 1945 fielen 23 Lagerinsassen Fieber, Schwäche und Unterernährung zum Opfer.985 Wegen fehlender Transportmöglichkeit konnten die Leichname nicht zur Verbrennung in das Krematorium in Buchenwald geschafft werden. Daher musste die Weimarer Lagerkommandantur die Erdbestattung in Bad Gandersheim ausdrücklich genehmigen. Im Fall eines französischen Häftlings erteilte der Buchenwalder Kommandant Pister diese am 29. Oktober 1944 telegrafisch.

Die Häftlinge leisteten für Heinkel im Oktober knapp 54.000, im November 150.260, im Dezember 161.500, im Januar des Folgejahres 155.463 und im Februar 1945 noch 113.428 Stunden Zwangsarbeit. Ende März 1945 kam die Produktion zum Erliegen. Kurz darauf, vermutlich am 2. April 1945, erteilte NSDAP-Gauleiter des Gaus Südhannover-Braunschweig, Hartmann Lauterbacher, dem Gandersheimer Lagerkommandanten den Befehl, das KZ-Außenlager zu räumen. Lauterbacher ordnete an, der Evakuierungstransport habe zu Fuß zu erfolgen, nicht marschfähige Häftlinge seien zuvor zu erschießen. Der Abmarsch wurde auf den 4. April 1945 festgesetzt.

Noch vor Tagesanbruch führten SS-Männer und Lagerkapos die 40 Revierkranken unter dem Vorwand, sie nach Bad Gandersheim ins Lazarett zu bringen, in das nahe gelegene Clus-Wäldchen und erschossen sie. Russische Mithäftlinge mussten die Toten verscharren. Nach Kriegsende wurden sie exhumiert und am 3. Juni 1945 vom katholischen Pastor Felix Hardt auf dem Gandersheimer Salzbergfriedhof bestattet.

450 Heinkel-Häftlinge setzten sich am Vormittag des 4. April in Richtung Harz in Bewegung. Es war der Beginn eines mehr als dreiwöchigen Evakuierungsmarsches, der über Braunlage, Wernigerode, Quedlinburg, Bitterfeld, Dresden, Aussig und Prag nach Dachau führte, wo der Transport am 27. April 1945, zwei Tage vor der Befreiung des Lagers, ankam. Es dürften kaum mehr als 200 KZ-Arbeiter des Außenkommandos Gandersheim sein, die dort die Befreiung durch die Amerikaner erlebten oder denen unterwegs die Flucht geglückt war. Ein amerikanischer Bericht vom 26. November 1945 über die Vorgänge im Außenkommando Brunshausen nennt die Zahl von 180 Überlebenden.

Literatur zu den Heinkel-Werken:
Antelme, Robert: Das Menschengeschlecht, Frankfurt am Main 2001.
Baranowski, Frank: Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringen während der NS-Zeit, Duderstadt 1995.
Ders.: Rüstungsproduktion in Deutschlands Mitte von 1923 bis 1945, S. 176-181.
Neander, Joachim: Die Ermordung der „Bibelforscher“ auf dem Todesmarsch des KZ Gandersheim, in: Südniedersachsen, Zeitschrift für Regionale Forschung und Heimatpflege, 27. Jahrgang, 1/1999, S. 7-19.

(c) Frank Baranowski 2016
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